Versuch einer politisch-juristischen Einordnung
von Achim Schill (mit Assistenz von Detlef Georgia Schulze)*
Als im August 2017 das Verbot von linksunten.indymedia[1] vom BundesinnenministeriÂum (BMI) verfügt wurde, gab es zwar einige Proteste, aber im Verhältnis zur BedeuÂtung dieses Verbotes waren die Reaktionen doch eher bescheiden. Ob es die NachÂwirkungen von G20 waren oder ob man mit diesem Verbot nicht gerechnet hatte (und dementsprechend nicht [politisch] vorbereitet war) – jedenfalls passierte im ersten Jahr nach dem Verbot nicht allzu viel.
Ich war nur sporadisch und erst in den letzten Jahren vor dem Verbot Leser von linksÂunten, hatte aber zusammen mit DGS (in drei Fällen auch mit Peter Nowak) Texte auf dieser Plattform eingestellt[2]. Von daher war es für uns drei eine SelbstverständlichÂkeit, uns mit linksunten zu solidarisieren.[3] Dass wir drei ca. ein Jahr später deswegen Post vom Landeskriminalamt bekamen, war zumindest für mich eine erhebliche ÜberÂraschung.
Am Anfang hatte ich einfach nur eine ohnmächtige Wut, die sich aber an nichts KonÂkretem abreagieren konnte. Aber durch die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Autoren konnte ich dadurch zumindest die Sache etwas besser politisch, aber vor alÂlem auch juristisch einordnen. Das hat bewirkt, dass sich meine anfangs ohnmächtige Wut in einen hoffentlich produktiven Medienaktivismus (s. unseren in FN 2 und 3 geÂnannten Blog) gewandelt hat; und ich gedenke, diesen Medienaktivismus noch weiter zu kultivieren, bis das linksunten-Verbot erfolgreich bekämpft ist.
Jene anfängliche relative öffentliche Passivität in Sachen linksunten hat sich aber mittlerweile dahingehend geändert, dass es mehr kritische Presseberichte über das linksunten-Verbot gibt. Und ich hoffe sehr, dass unsere – wenn auch reichweiten-begrenzten – publizistischen Aktivitäten gegen unser Ermittlungsverfahren dazu einen Beitrag geleistet haben.
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass das linksunten-Verbot ein populistischer Staatsaktionismus war, der ‚Stärke‘ (Handlungsfähigkeit) gegen das linksradikale MiÂlieu demonstrieren wollte, da man sich bei G20 erheblich blamiert hatte. Aber ich würÂde dennoch nicht sagen, dass diese Verbotsverfügung mit heißer Nadel gestrickt wurÂde. Wenn man sich die Verbotsbegründung durchliest, merkt man, mit wie viel Akribie das BMI (vlt. auch der Verfassungsschutz) versucht, nachzuweisen, dass die HerausÂgeberInnen von linksunten ein ‚Verein‘ waren. Man muss dazu allerdings anmerken, dass die Kriterien für Vereinsförmigkeit nach dem Vereinsgesetz nicht sehr hoch sind.[4]
Aber das ist noch nicht der entscheidene Punkt. Das Wesentliche an der VerbotsbeÂgründung ist vielmehr, dass nicht (genau) unterschieden wird zwischen den HerausÂgeberInnen und dem Medium sowie zwischen den HerausgeberInnen und den AutoÂrInnen. Und diese Vermischungen machen genau die – mindestens doppelte – Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung aus:
• Die erste Vermengung führt dazu, dass das BMI meint, das Medium linksunten nach Vereinsrecht behandeln zu dürfen.
• Die zweite Vermengung führt dazu, dass das BMI meint, den HerausgeberInÂnen die eventuellen Straftaten in Artikeln von bloßen linksunten-AutorInnen verbotsrechtlich zurechnen zu dürfen.
Es ist daher nicht ausreichend – wie es einige machen – , die Verbotsverfügung desÂhalb zu kritisieren, weil sie keine ‚Güterabwägung‘ zwischen Vereinigungsverbot (Art. 9 II GG) und Pressefreiheit (Art. 5 II GG) vornehme[5]. Denn (1.) findet eine solche AbÂwägung, wenn auch knapp, in der Verfügung durchaus statt. Und (2.) sind beides geÂnau abgegrenzte Normen mit je spezifischem Geltungsbereich, so dass es also gar nichts abzuwägen gibt:
• Art. 5 I, II GG (Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit und deren Schranken sowie Zensurverbot) gilt für Meinungsäußerungen und Medien,und
• Art. 9 I, II GG (Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot) gilt für VereinigunÂgen (bzw. „Vereine und Gesellschaften“).
• Schon die einfache Lektüre des Grundgesetzes zeigt also, daß die innenminisÂterielle Konstruktion eines ‚Medienverbotes via Vereinsverbot‘ ein totaler juristiÂscher Blindflug ist.
Zwar werden in der Rechtsprechung immer wieder Güterabwägungen und ‚VerhältÂnismäßigkeits‘-Prüfungen vorgenommen, aber mit Verhältnismßigkeitsprüfungen im Einzelfall wird die ‚Generalität‘ (Allgemeingültigkeit) der Gesetzesnormen (und damit auch die Rechtssicherheit) erodiert und bei Güterabwägung (z.B. Verfassungsschutz versus Pressefreiheit) wird durch die Vermengung verschiedener Normbereiche VerÂfassungsgebung bzw. Verfassungsänderung im Wege vermeintlicher VerfassungsinÂterpretation betrieben (die Schranke, die Art. 9 II GG[6] der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 I GG setzt, wird dreist auf Art. 5 GG übertragen[7], der aber in seinem zweiten Absatz sein ganz eigenes Schranken-System[8] hat).
Verfassungsänderung aber ist – auch im bürgerlichen Staat – nicht die Aufgabe der Gerichte (oder gar des Bundesinnenministeriums), sondern des Parlaments, des „Volks“ oder einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. Die Gerichte sollen das Recht nur anwenden[9] (und das ist schon Aufgabe genug!) und nicht etwa erweitern.
Nach dem aktuellen Informationsstand würde ich sagen, dass die Verbotsverfügung motiviert war:
a) durch die Militanz im Rahmen / am Rande der G20-Proteste im Juli 2017
b) durch die damals bevorstehenden Bundestagswahlen
und
c) ein Versuch war, auszutesten, inwieweit das Vereinsrecht dazu taugt, politisch unÂliebsame Medien mundtot zu machen
d) Die Militanz-Diskussionen, die bei linksunten – neben vielen anderen Diskussionen – schon seit geraumer Zeit geführt wurden und die die offizielle Verbotsbegründung tragen (sollen), waren dem Staat sicherlich auch ein Dorn im Auge und nicht nur vorÂgeschobener Verbotsgrund, aber sie allein reichten nicht, dass dem Staat ein Verbot schon vorher opportun erschien.
Bislang schien es, dass das BMI mit seinem Versuchsballon durchkommt. Aber mittlerweile mehren sich die Stimmen, die erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung äußern und auf diverse Mängel und Fehler hinweisen[10].
Wir drei BloggerInnen*) haben uns zumindest auf die Linie verständigt, dass linksunten-VerÂbot hauptsächlich über die Meinungs- und Pressefreiheit zu kritisieren. Dies ist schon deshalb der für uns allein gangbare Weg, weil wir über (eventuell bestanden haben mögende) ‚interne Strukturen‘ – und damit die eventuelle Vereinsförmigkeit des HerÂausgeberInnen-Kreises, der logischerweise von dem von ihm herausgegebenen Medium zu unterscheiden ist! – von linksunten gar nichts wissen. Von daher war für uns die ‚Vereinsfrage‘ immer schon ein untergeordneter Punkt, obwohl es zwischen uns in der Anfangsphase nach dem Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens auch in dieser Frage durchaus heiße Debatten gab[11]. Mittlerweile hat uns aber DGS mit seinem juristischem Fachwissen davon überzeugt, dass eine Kritik an dem linksunÂten-Verbot über das Vereinsrecht auf schwächeren Füßen steht (wenn auch nicht aussichtslos ist) als eine über die Meinungs- und Pressefreiheit. Und da gegen uns nicht als vermeintliche BetreiberInnen – sondern als bloße vermeintliche UnterstützeÂrInnen des verbotenen Vereins und vermeintliche VerwenderInnen des vermeintlichen „Kennzeichens“ des vermeintlichen Vereins[12] – ermittelt wird (und wir uns deshalb nicht gegen einen Vereins-/Vereinigungs-Mitgliedschafts-Vorwurf wehren müssen), ist für uns diese Sprechposition umso leichter einzunehmen.
Wir sehen diese Argumentionslinie aber nicht im ‚Widerspruch‘ zu der in der Klage der vermeintlichen BetreiberInnen[13] bzw. den öffentlichen Stellungnahmen von deren AnwältInnen[14], sondern als ‚produktiv-inhaltliche Ergänzung‘.
Solange das juristische Verfahren gegen uns läuft und die Rechtswidrigkeit der VerÂbotsverfügung nicht festgestellt wurde, solange werden wir unsere Kraft und Energie in diesen (publizistischen) Kampf hineinstecken!
• Weg mit dem Verbot von linksunten!
• Verteidigt die Meinungs- und Pressefreiheit – und das Zensurverbot!
• Gegen die AFD-isierung von Staat und Gesellschaft!
Wir sehen uns beim Tag (((i)))[15]!
*) Detlef Georgia Schulze (aka TaP [Theorie als Praxis]) und Achim Schill (aka systemcrash) wurden – zusammen mit Peter Nowak – von der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Unterstützung des vermeintlichen „Vereins“ linksunten.indymedia und Verwendung dessen „Kennzeichens“ vor der Staatsschutzkammer des Landgerichtes Berlin beschuldigt. Sie sollen die Tatbestände Nr. 3 und 5 des § 20 (Vereinsgesetz) mit einer Ende August 2017 veröffentlichten Protesterklärung gegen das Verbot von linksunten.indymedia verwirklicht haben.